Dienstag, 13. November 2007

Islamwissenschaftlerin Gudrun Krämer: "Die Muslime ändern sich" FR

Interview in der Frankfurter Rundschau 13.11.2007 (Zitat):
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Ich würde nicht fragen, ob der Islam als Religion demokratiefähig ist. Ich würde nur fragen, ob Muslime, die bei uns leben, in einer demokratischen Ordnung leben können und wollen.
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m Kern - die Anerkennung von Differenz, der Verzicht auf Gewalt, tolerantes Denken und Handeln, die Anerkennung des Grundsatzes der Gleichheit und Freiheit, sein Leben zu leben. Ich würde Muslime nicht schon auf Details festlegen, zum Beispiel, ob sie Homosexualität bejahen. Das würde ich auch nicht jeden nichtmuslimischen Deutschen fragen wollen.
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Der Koran ist ein Dokument, das im 7. Jahrhundert nach muslimischer Auffassung von Gott offenbart wurde. Natürlich spricht der Koran nicht explizit von diesen Prinzipien. Er ist kein Handbuch des Rechts oder der Demokratie, sondern ein Offenbarungsschrift - aus einer Zeit, die diese Fragen gar nicht gestellt hat. Ich kann immer nur fragen wie die Muslime heute auf den Koran blicken, welche Werte, Verhaltensnormen sie aus ihm ableiten. Ob der Koran Demokratie zulässt oder nicht - die Frage ist falsch gestellt.
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Aus der Bibel kann man auch keine Demokratie ableiten. Es hat ja lange genug Konflikte gegeben. Allein der Begriff der Menschenwürde wurde von der katholischen wie der evangelischen Kirche bis nach dem Zweiten Weltkrieg mit größter Zurückhaltung behandelt. Von Gleichheit der Geschlechter nicht zu sprechen. Auch Christen haben über mehr als 1000 Jahre die Sklaverei praktiziert. Dennoch haben Christen es geschafft, mit ihrem Glauben andere Wertvorstellungen, andere politische Konzeptionen zu entwickeln - das hat mit Aufklärung und den revolutionären Bewegungen zu tun, mit Veränderungen der sozio-ökonomischen Bedingungen. Bei Muslimen stelle ich mir diesen Prozess ähnlich vor. Es ist nicht die Bibel, die eine Kehrtwende vollzogen hat, sondern die Christen haben es getan. Genauso wird sich nicht der Koran ändern, sondern die Muslime. Ich würde sie keinesfalls auf Einzelaussagen ihrer heiligen Schrift festnageln.
Es gibt keinen Text, den man nicht interpretieren kann und muss. Der Koran wird durch menschliches Verständnis gefiltert und muss gedeutet werden. Er bietet auch keine eindeutige Dschihad-Lehre. Betrachtet man die Aussagen, die nebeneinander stehen - historisch gesehen aber nacheinander offenbart wurden - dann kann man das Prinzip entdecken: Wenn Ihr angegriffen werdet, dann verteidigt Euch mit dem Schwert. Wenn Ihr nicht angegriffen werdet, dann versucht Euch mit den Gesetzen der Fairness und des Anstandes zu verständigen. Historisch gesehen wurde islamische Herrschaft im 7. und 8. Jahrhundert sehr wohl mit Gewalt verbreitet. Zwangsbekehrung war dabei aber die Ausnahme. Diese Eroberungsbewegung kam Mitte des 8. Jahrhunderts zum Stehen. Seitdem haben Muslime unterschiedliche Lehren vom Dschihad entwickelt. Eine lautet, dass Dschihad nicht bewaffneten Kampf bedeutet, sondern das Streben nach einem gottgefälligen Leben. Natürlich gibt es militante Islamisten, die Dschihad als bewaffneten Kampf propagieren. Aber bei uns gibt es auch Neonazis, die die Mehrheit gleichfalls ablehnt.
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Mit den Frauenrechten in islamischen Ländern unterschiedlich bestellt und vielfach nicht gut. Bei uns in Deutschland muss interessieren, was Mädchen in der Schule lernen und zu welchen gesellschaftlichen Feldern sie Zugang haben. Wenn sie meinen, es müsse mit Kopftuch geschehen, ist das ihre Sache. Nicht das Kopftuch ist Kernthema, sondern was Frauen und Mädchen daraus machen.
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In der Bejahung der freiheitlich-demokratischen Grundordnung unter Bewahrung des muslimischen Glaubens. Ebenso wie ein Katholik, der glaubt, der Papst kenne in bestimmten Dingen allein die Wahrheit, ein praktizierender Demokrat sein kann oder ein Jude, der gleichzeitig die Regeln der Thora einhält.
Link zum Artikel:
http://www.fr-online.de/frankfurt_und_hessen/dossiers/moschee_spezial/?em_cnt=1242182

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